Mehr Teilhabe und Begegnung auf Augenhöhe

Jenseits tradierter Konzepte setzen sich in der psychiatrischen Pflege derzeit neue Haltungen und Sichtweisen auf den Behandlungsprozess durch. Bei dieser facettenreichen Entwicklung kristallisiert sich ein gemeinsamer Nenner heraus: die Überzeugung, dass psychisch erkrankte Menschen nicht auf ihre Erkrankung reduziert werden dürfen.

Der therapeutische Fokus soll vielmehr darauf liegen soll, Patient*innen zu befähigen, auf ihrem persönlichen Weg der Genesung aktiv voranzukommen. Damit sich diese Selbstwirksamkeit zur Förderung der Salutogenese entfalten kann, benötigen alle am Behandlungsprozess Beteiligten mehr Gestaltungsmöglichkeiten.

Im Klinikum Schloß Winnenden sieht man die Chancen dieses Paradigmenwechsels. Und zwar sowohl für die Patient*innen und deren Angehörigen als auch für die Behandelnden.

Im Zentrum der psychiatrischen Pflege steht der Beziehungsprozess als zentrales pflegerisches Element in der Betreuung der Patienten, mit der Fokussierung auf Krankheitsgeschehen, Krankheitsfolgen und Krankheitsbewältigung.

Psychische Erkrankungen ziehen oft sozial-ökonomische Folge nach sich, wie z.B. Familienbrüche, Vereinsamung, Isolation, Stigmatisierung, Verlust des Arbeitsplatzes. Diese Auswirkungen auf den sozialen Kontext beeinflussen wiederum den Heilungsprozess des erkrankten Menschen. Die psychiatrische Pflege leistet hier als unterstützende Säule im therapeutischen Prozess einen wichtigen Beitrag in der Betreuung und Behandlung der Patient*innen. Dies geschieht in beratenden, alltagsstützenden Gesprächen und fördernden Gruppenaktivitäten, wie Entspannungsverfahren, Training alltagspraktischer Fähigkeiten und Psychoedukation. Die Kommunikation ist dabei ein wesentliches Instrument im therapeutisch-pflegerischen Handeln. Sie unterstützen den psychisch erkrankten Menschen wieder Vertrauen zu fassen, sich mit der Krankheit auseinander zu setzen und darin, sich wieder selbst zu befähigen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Die psychiatrische Pflege ist ganzheitlich orientiert, und stellt den Patient*innen mit seinen Bedürfnissen unter Einbeziehung seines Umfeldes in den Mittelpunkt. Dies wird erreicht durch Empathie, die Fähigkeit Selbsthilfepotentiale der Betroffenen und ihres sozialen Umfeldes zu aktivieren.

Als personenzentrierter Ansatz, der die Autonomie der Patient*innen betont und stärkt, hat der Begriff „Adherence“ in den vergangenen Jahren das früher verbreitete Compliance-Konzept abgelöst. Nicht mehr das „Befolgen“ von Direktiven des professionellen Behandlerteams, sondern ein gemeinsam mit der Patientin bzw. dem Patienten entwickeltes und vereinbartes Vorgehen wird dabei zum therapeutischen Erfolgsfaktor. Der neuen Sichtweise liegt die Überzeugung zugrunde, dass fehlende Einnahme von Medikamenten oder Nichtnutzung sonstiger therapeutischer Maßnahmen nicht zu verurteilen, sondern erst einmal zu verstehen sind. Erst wenn die Betroffenen selbst zur inneren Einsicht gelangt sind, dass die Einhaltung der Therapieempfehlung sinnvoll ist, lässt sich die Behandlungsprognose deutlich verbessern.

Als Bindeglied zwischen Patient*innen und Behandelnden setzen sich Adherence-Begleiter*innen gemeinsam mit den Betroffenen offen mit dem Für und Wider der Medikamenteneinnahme auseinander und klammern dabei auch eventuelle Ambivalenzen nicht aus. Es wird erwartet, dass die Befähigung für ein langfristig erfolgreiches Selbst- und Krankheitsmanagement gerade Patient*innen mit chronifizierten psychischen Erkrankungen zugutekommen wird.

Die intensive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, Zwang und Gewalt im Alltag der Akutstationen zu vermeiden oder zumindest erheblich zu reduzieren, hat im Klinikum Schloß Winnenden unter anderem die Einführung des Safewards-Modells nach sich gezogen. Trotz systematischer Deeskalationsvorkehrungen ließen sich bislang Zwangsmaßnahmen als Ultima Ratio gerade bei der Akutbehandlung nicht immer vermeiden. Es kam zu Übergriffen gegen Mitarbeitende, durch die eine angespannte Stationsatmosphäre erfahrungsgemäß zusätzlich belastet wird.

Das Safewards-Modell setzt dieser Negativspirale ein hohes Präventionspotenzial entgegen, indem es auf eine erweiterte Partizipation der Patient*innen am Behandlungsprozess baut. Dazu zählen eine verständnisvolle, positive Kommunikation, die Klärung gegenseitiger Erwartungen, deeskalierende Gesprächsführung, Unterstützung bei unerfreulichen Nachrichten und Methoden zur Beruhigung und weitere konfliktvermeidende Maßnahmen. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass so eine signifikante Reduzierung von Gewaltereignissen und Zwangsmaßnahmen erreicht werden kann und die Stationen sicherer werden. Damit verbindet sich auch die Möglichkeit, den traumatisierenden Folgen von Zwang für Patient*innen und Mitarbeiter*innen wirksam vorzubeugen. Auf einigen Modellstationen im Klinikum wurden bereits förderliche Rahmenbedingungen für die Safewards-Implementierung geschaffen und die Mitarbeiter*innen erhielten entsprechende Schulungen.

Eine Vielzahl von Projekten, die derzeit am Klinikum entwickelt oder eingeführt werden, spiegeln das veränderte Rollenverständnis zwischen Behandelnden und Patient*innen wider. Ob Nachsorgegespräch nach Zwangsmaßnahmen mit dem Ziel, Mitarbeitende zu entlasten und gemeinsam mit den Patient*innen den „roten Faden wiederaufzugreifen“ oder Freiwillige Behandlungsvereinbarung, bei der Patient*innen bestimmen, wie mit eigenen Krisensituationen umgegangen wird – stets leitet ein „respektvolles Miteinander“ die Herangehensweise. Unter dieser Prämisse wurde auch eine Angehörigen-Vereinbarung in Kooperation mit dem Landesverband Baden-Württemberg der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen ausgehandelt.

Die Vereinbarung unterstreicht den im Klinikum vorhandenen Willen, das Lebensumfeld der Patient*innen soweit als möglich in den Behandlungsprozess einzubeziehen. Trialog-Angebote für Betroffene, Angehörige und professionelle Behandler, die im Verbund mit dem regionalem Unterstützungsnetzwerk entwickelt wurden, ergänzen zukünftig dieses breite Spektrum an partizipativen Angeboten.

In Kürze findet im Klinikum Schloß Winnenden eine trialogische Veranstaltung mit psychisch erfahrenen Menschen, Angehörigen und beruflich Tätigen geplant.